Ländliche Regionalentwicklung

Erfahrungen aus Norddeutschland:

PRA im landwirtschaftlichen Problemgebiet Vechta-Cloppenburg

Pölking, A.; Bien, B.; Falge, C.; Fischer, M.; Hollmeier, E.; Holthusen, B.; Korf, B.; Maaßen, U.; Ruth, P.; van Stuyvenberg-Huhnholz, S.; Wittine, D.

Im Herbst 2000 wurde eine PRA-Projektwoche "Zukunftsplanung für Mühlen" in einer Gemeinde des Landkreis Vechta in Niedersachsen im Auftrag der Universität Göttingen unter Leitung des Planungsbüros 'agroplan' in Wolfenbüttel durchgeführt. Die Projektwoche war Bestandteil eines Bundesmodellprojektes "Sanierungs- und Entwicklungsgebiet Vechta/Cloppenburg". In dem Beitrag wird die Planung, das Vorgehen und die Ergebnisse vorgestellt. Gleichzeitig werden Schwachpunkte und Begrenzungen dieser Methode erläutert. Eine Leitfrage dabei soll sein: Kann PRA ein sinnvolles Instrument zur Planung im ländlichen Raum sein und wie ergebnisoffen können/dürfen diese Verfahren sein?


Das Team ( nach der Abschlußpräsentation in Mühlen am 29. 09. 2000).(von links nach rechts): Christiane Falge (Berlin, Ethnologin), Dr. Andreas Pölking (agroplan Wolfenbüttel, Agraringenieur), Dagmar Wittine (Göttingen, Ethnologin), Ulf Maaßen (Berlin, Regionalplaner), Barbara Bien (Bonn, Agraringenieurin), Moe Fischer (Berlin. Tierärztin), Petra Ruth (Berlin), Elke Hollmeier (Bonn, Sozialpädagogin), Benedikt Korf (Berlin, Bauingenieur), Simone van Stuyverberg-Huhnholz (Wolfsburg, Biologin), Beate Holthusen (Berlin, Sozialökonomin).

Participatory Rural Appraisal (PRA) - ins Deutsche zu übertragen als "Bürgerorientierte ländliche Entwicklungsplanung" (Currle & Delius 1998) - ist eine Methode der Bürgerbeteiligung, die in der Entwicklungszusammenarbeit seit einigen Jahren angewandt wird. Seit einiger Zeit wird nun PRA auch für die Entwicklungsplanung im ländlichen Raum sogenannter Wohlstandsgesellschaften in Europa mit hohen Erwartungen propagiert.

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Inhalt
  • 1 Einleitung und Problembeschreibung
  • 1.1 Der Auftrag
  • 1.2 Landwirtschaft im Raum Vechta-Cloppenburg
  • 2 Methodisches Vorgehen
  • 2.1 PRA
  • 2.2 Erhebungen
  • 3 Ergebnisse
  • 4 Anfragen an das Verfahren
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1 Einleitung und Problembeschreibung

1.1 Der Auftrag

Im Frühjahr 1998 wurden durch das Bundesbauministerium drei Pilotvorhaben zur Sanierung belasteter Räume ausgelobt. Für die Durchführung eines dieser Vorhaben wurde die Region Cloppenburg - Vechta vorgeschlagen, aufgrund der starken Belastung durch die tierhaltenden landwirtschaftlichen Betriebe. Die Durchführung des Projektes wurde an das Forschungs- und Studienzentrum für Veredelungswirtschaft der Universität Göttingen mit der Außenstelle Vechta gegeben. Das Büro agroplan hatte zu Beginn der Projektarbeit den Vorschlag unterbreitet, zu erarbeitende Verbesserungs- und Sanierungsvorschläge in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung zu entwickeln. Folgende Leistungen waren im Rahmen des Auftrages zu erbringen:
Auswahl einer geeigneten Gemeinde im Landkreis Vechta, in der beispielhaft eine PRA-Projektwoche als innovativer Beitrag zum Bundesmodellvorhaben durchgeführt werden kann. Vorbereitung der Erhebungs- und Projektphase in der ausgewählten Gemeinde, wie Information der Bevölkerung, Sondierung der Interessenlagen sowie Kooperation mit Trägern öffentlicher Belange. Durchführung eines PRA-Workshops (Erhebungs- und Projektphase) durch ein externes Moderatorenteam, Dokumentation der Ergebnisse und Erstellung eines Abschlußberichtes.

1.2 Landwirtschaft im Raum Vechta-Cloppenburg

Die Landkreise Vechta und Cloppenburg stehen bundesweit für die Problemzone landwirtschaftlicher Bodennutzung. Obwohl in diesen beiden Landkreisen lediglich 0,3 % der deutschen Bevölkerung leben und die Fläche dieser Lankreise mit 2200 km2 lediglich 0,6 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik umfasst, leben 1,9 % aller Rinder Deutschlands, fast 7 % aller Schweine Deutschlands, 12,5 % aller Hühner und 26 % aller Puten in dieser Region (Verbund Oldenburger Münsterland 1998). Selbstverständlich sind diese Viehdichten mit Auswirkungen verbunden, die weit über die Region hinausgehen. So muss beispielsweise der anfallende Dung (Gülle, Trockenkot) in andere Teile Deutschlands exportiert werden und die Futtermittel für die Tiere aus anderen Regionen importiert werden.
Zunehmend werden Klagen aus der Bevölkerung, die nicht mit der Landwirtschaft verbunden ist, laut, dass die Stäube und Emissionen aus den Geflügelanlagen Krankheiten verursachen. Die niedersächsische Landesregierung hat erst jüngst eine Studie in Auftrag gegeben, die diese medizinischen Folgen überprüfen soll.
Da ein Großteil der Bevölkerung in dieser Region direkt oder indirekt mit der Landwirtschaft verbunden ist, ist die Wahrnehmung der Problematik sehr unterschiedlich. Während außerhalb dieses Gebietes eine sehr sensible Problem-wahrnehmung existiert, wird von der betroffenen Bevölkerung jede Problemwahrnehmung negiert. Dieses wird sehr schön an der Frage deutlich, ob es nach Gülle stinkt. Während auswärtige Besucher den intensiven Güllegeruch massiv wahrnehmen, sagt die lokale Bevölkerung häufig, sie riecht nichts.

2 Methodisches Vorgehen

2.1 PRA

Insgesamt sollte in Mühlen ein Bürgerbeteiligungsverfahren mit dem methodischen Ansatz des PRA durchgeführt werden. Aufgrund der geringen Bekanntheit dieser Methode und da es die Abkürzung eines englischen Begriffes ist, wurde in der Durchführung dieser Begriff nicht weiter verwandt, sondern von -Projektwocheì und -Zukunftsplanungì gesprochen.
PRA bezeichnet einen Ansatz, bei dem ein Entwicklungsprozess in einer Region angeregt wird, der von der in der Region lebenden Bevölkerung selbst getragen wird. An diesem Prozess sind möglichst alle Gruppen der Bevölkerung gleichberechtigt beteiligt. Für die Durchführung stehen Methoden zur Verfügung mit denen die Menschen ihre momentane Situation, bestehende Schwierigkeiten und Stärken und Lösungsmöglichkeiten für diese Schwierigkeiten erkennen können. Als Ergebnis dieses Planungsprozesses stehen konkrete Aktivitäten und Projekte, die von den Bürgern mit Hilfe der zuständigen Institutionen umgesetzt werden.
Mit Hilfe dieser Zukunftswerkstatt wird versucht, einen von der Bevölkerung selbst getragene Entwicklungsprozess anzuregen sowie die Eigeninitiative und die Selbstverantwor-tung der Bevölkerung zu stärken. In den vergangenen 10 bis 15 Jahren wurden weltweit vielerlei Erfahrungen mit dieser Form der "bürgerorientierten Zukunftsplanung" gesammelt und, da es sich als sehr erfolgreich erwiesen hat, greift dieser Ansatz auch zunehmend auf die deutschsprachigen Beratungsdienste über (vgl. Currle und Delius (1998), Tillmann, Currle & Salas (1995), Delius & Kügler (1999).

Ausgewählte Instrumente eines PRA und Kurzbeschreibung

Küchentischgespräche
Hier wird im Lebensumfeld der Bevölkerung anhand eines Gesprächsleitfadens von mindestens zwei Personen (einer protokolliert nur) die Situation der betroffenen Personen besprochen.

Transektgänge
Um den Planungsraum - das ausgewählte Dorf mit seinen angrenzenden Ländereien - möglichst rasch kennenzulernen, wird das zu erhebende Gebiet diagonal in Begleitung von Auskunftspersonen durchwandert. Anhand eines vorher abgefaßten Erhebungsbogens, der unterschiedliche Themen abfragt - werden die Informationen aufgezeichnet.

gemeinsame Kartierung
Mit der Bevölkerung wird eine Skizze des Dorfes mit seinen wichtigsten Einrichtungen, sozialem Gefälle, Landnutzungen, Infrastruktur etc. aufgezeichnet. Dabei ist nicht so sehr das Ergebnis, also die erstellte Karte, von Bedeutung sondern ebenso sehr die Diskussion bei der Entstehung der Karte, die sorgfältig dokumentiert wird.

Rangordnung - Prioritätenliste
Anhand bestimmter Fragen, wie z.B. Welches sind Ihrer Meinung nach die Probleme im Dorf?, werden Punkte zusammengetragen, die dann von allen gemeinsam in einer Liste sortiert werden. Dieses kann mit der Methode -Auf den Punkt gebrachtì durchgeführt werden, also jeder Teilnehmer erhält einige Klebepunkte und vergibt sie für die ihm wichtigsten Themen.

SWOT-Analyse
SWOT-Methode als Herangehensweise, eine Situation zu analysieren, dabei steht S für Strengths (=Stärken), W für Weaknesses (=Schwächen), O für Opportunities (=Chancen) und T für Threats (=Gefahren). Gemeinsam werden mit den Beteiligten ihre Potentiale ermittelt.

2.2 Erhebungen

Die wichtigsten Erhebungsinstrumente, die im Rahmen der Projektwoche durchgeführt wurden, waren Transektgänge, Küchentischgespräche, Workshops mit SWOT-Analysen sowie Gespräche mit Schlüsselpersonen der Ortschaft Mühlen, der Gemeinde-verwaltung von Steinfeld sowie in verschiedenen Funktionen. Das Planungsteam, bestehend aus 11 Planerinnen und Planern (Geographen, Agrarwissenschaftler, Soziologen, Pädagogen) hat sich auf einem Vorbereitungstreffen zusammengefunden und ein bestimmtes Vorgehen besprochen. Zwei Teammitglieder haben im Vorfeld einige Tage in Mühlen recherchiert und die Projektwoche vorbereitet.
Insgesamt konnten in Durchführungswoche im Oktober 2000 ca. 120 Mühlener Bürger direkt in Gesprächen erreicht werden und natürlich potentiell alle Bürger über die Veröffentlichungen durch die Zeitung, die Handzettel sowie die Ankündigungen in der Kirche. Von den drei hauptsächlich eingesetzten Methoden wurden folgende Personenzahlen erreicht:
  • ca. 50 Personen in Workshopgesprächen
  • ca. 20 Personen in Einzelgesprächen mit Schlüsselpersonen
  • ca. 50 Personen in Küchentischgesprächen.
Zwar sind diese 120 BürgerInnen lediglich ca. 6 % aller Mühlener, aber es wird angenommen, dass es sich um einen repräsentativen Querschnitt aus der Bevölkerung handelt, da alle relevanten sozialen Gruppierungen abgedeckt wurden. Als relevante soziale Gruppierung wurden in Mühlen folgende identifiziert:
  • Kinder und Jugendliche
  • Junge Eltern - Junge Mütter
  • Alte und Ruheständler
  • Berufstätige
  • Landwirte
  • Ausländische Mitbürger und Rußlanddeutsche

3 Ergebnisse

Folgende Problembereiche wurden von der Bevölkerung Mühlens immer wieder angesprochen und somit als Schlüsselprobleme identifiziert:

a) Aussiedler- und Ausländerfrage / Integration
Der große Anteil an Spätaussiedlern und Ausländern wird als großes Problem in Mühlen angesehen. Es wird sowohl von den deutschen Bürgern als auch von den Aussiedlern die mangelnde Integration beklagt. Allerdings wurde auch schnell deutlich, dass die Wahrnehmung zum Teil stark von der Realität abweicht. So wurde durch das PRA-Team gefragt, wie hoch der Anteil von Ausländern an der Bevölkerung Mühlens geschätzt wird. Die Antwort war, ca. 500 Menschen, also fast 25 % Anteil. Tatsächlich leben aber in Mühlen lediglich ca. 7 % Ausländer. Es wird erkannt, dass die "Ghettobildungí der Ausländer Probleme verursacht und dass eine Integration nur sehr schwer möglich ist. Es wird auch anerkannt, dass die Ausländer in den Schlacht- und Zerlegebetrieben eine üble Arbeit leisten müssen und dass diese Betriebe ohne diese Arbeitskräfte nicht wirtschaftlich wären. Die soziale Dynamik mit seinen Chancen und Hemmnissen in Mühlen ist im Anhang in Abb. 2 dargestellt.

b) Landwirtschaft und Umwelt / Landwirtschaft und Gesundheit
Hier war insbesondere die Gülleproblematik und die Emissionen aus Tierställen das Thema. Allerdings wurde dieses Thema häufig durch das Team eingebracht und nur in Ausnahmefällen eigenständig angesprochen. Allerdings war den Befragten klar, dass wenn auswärtige Gäste eine Zukunfts- bzw. Entwicklungsplanung in ihrer Region durchführen, dass dann die Themen Landwirtschaft und seine Folgen für Umwelt und Gesundheit oben auf der Tagesordnung stehen. So hatte man häufig das Gefühl, dass in einem Gespräch beide Gesprächspartner solange abwarten und beobachten, wann der andere dieses Thema anspricht. Ca. 80 % der Befragten äußerten ihr Verständnis für die Landwirtschaft und hielten die Fragen hinsichtlich Umwelt und Gesundheit für überzogen. Ca. 10 % der Bürger sagten, dass die derzeitige Landwirtschaft große Probleme verursacht und zum Teil sogar krank macht. Die restlichen 10 % äußerten sich entweder gar nicht zu diesem Thema oder forderten sogar weniger Auflagen für die Landwirtschaft und weniger Beachtung des Umweltschutzes. Dieses waren in der Regel Landwirte.

c) Baulandfrage und Grundstücksvergabe
Die Intransparenz bei der Baulandvergabe durch die Gemeindeverwaltung wurde durch einzelne Befragte schwer kritisiert. Hier wurde Korruption und Vetternwirtschaft beklagt. Über viele Jahre hinweg habe es in Mühlen überhaupt keine Entwicklung gegeben, da kein Bauland ausgewiesen worden sei. Jetzt - seit einigen Jahren - sei Mühlen rasant gewachsen und man müsse sich schon fragen, wo der Ort hinwolle.

Bauland ist sehr günstig in Mühlen (ab 25 Euro), jedoch aus der Sicht der Landwirte oft zu günstig, so dass sie ihre Flächen nicht verkaufen wollen.
Die Begrenzung der Entwicklung Mühlens durch Landwirtschaft wurde anschaulich anhand von missionsradien rund um die Tierställe dargestellt. Die vorgeschrieben Grenzabstände zu Bauland nach der Bundesimmissionsschutz-VO ermöglichen nur noch auf wenigen Flächen eine Weiterentwicklung Mühlens, wenn bestehende Anlagen nicht umgesiedelt oder geschlossen werden.

d) Verkehranbindung und Infrastruktur Durch die Bahnlinie wird der Ort Mühlen in zwei Teile zerschnitten, der Bahnübergang sei eine große Gefährdung für Radfahrer und Fußgänger. Während einige Mühlener sagen, auf die Bahn kann aufgrund mangelnder Auslastung ganz verzichtet werden, wünschen sich andere - insbesondere ältere Bürger - den Ausbau der Bahn.

4 Anfragen an das Verfahren

Als Hauptproblem dieses PRA-Verfahrens muss die fehlende -Ergebnisoffenheitì angesehen werden. Aufgrund der Interessenlage durch den Auftraggeber sollten Ideen entwickelt werden, wie die Landwirtschaftsproblematik gelöst werden kann. Da die Bevölkerung jedoch - möglicherweise aufgrund permanenter Anklage von außen - das Landwirtschaftsproblem gar nicht als ihr Problem angesprochen hat bzw. wahrnimmt, konnte für den Auftraggeber nur ein unbefriedigendes Ergebnis erzielt werden. Vorschläge, die Umweltwirkung der Intensivlandwirtschaft durch z.B. Dachbegrünungen auf den Mastställen zu mildern, wirken angesichts der tatsächlichen Probleme geradezu lächerlich. Hier wäre eine Sensibilisierungsphase der Bevölkerung nötig gewesen.
Als problematisch muss nachträglich ebenfalls die Aufgabenstellung angesehen werden. Der Auftrag bestand für die Vorbereitung und Durchführung einer einwöchigen Planungsphase. Dieser Prozess braucht jedoch a) eine feste Verankerung in der örtlichen Bevölkerung und Verwaltung und b) einen kontinuierlichen Nachbereitungsprozess, in dem die Verantwortlichen ebenfalls begleitet werden. Dieser Prozess war jedoch nicht Gegenstand des Auftrages. Da jedoch die Gemeindeverwaltung von Mühlen sehr aufgeschlossen und konstruktiv mitgearbeitet hat, kann diese Arbeit evt. durch einen weiteren Auftrag geleistet werden.



  agroplan Büro für Umwelt- und Agrarplanung - Reichsstr. 1 - 38300 Wolfenbüttel
Tel.: 05331.902771 - Fax: 05331.902773 - e-mail: info@agroplan.de